ARBEITSRECHT
RECHTSANWALT-TIPP-ARBEITSRECHT: Die Fragen im Vorstellungsgespräch: Recht zur Lüge bei Schwerbehinderung ?
Autor: Mathias Henke - Rechtsanwalt
Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) befasst sich mit dem Problem der Zulässigkeit von Fragen nach einer Schwerbehinderung und den rechtlichen Folgen bei entsprechend unwahren bzw. falschen Angaben (BAG 2 AZR 369/10).
I. Allgemeines zur Zulässigkeit von Fragen im Vorstellungsgespräch
Vor Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses kommt es in der Regel zu einem mehr oder weniger ausführlichen Vorstellungsgespräch, im Rahmen dessen sich Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers gegensätzlich gegenüberstehen: zum einen will der Arbeitgeber möglichst viel und genaues über den Arbeitnehmer erfahren, andererseits liegt es nun aber auch im wohlverstandenen Interesse eines jeden Arbeitnehmers, nicht jedes Detail seines Lebens, insbesondere seines Privatlebens, vor dem Arbeitgeber offenbaren zu wollen.
Diesen Interessengegensatz löste und löst die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang wie folgt:
1. Zulässige Fragen
Fragen des Arbeitgebers, bei denen die rechtlichen Interessen des Arbeitgebers höher zu bewerten sind als das Recht des Arbeitnehmers auf Privatsphäre, sind als erlaubte Fragen vom Arbeitnehmer auch zwingend wahrheitsgemäß zu beantworten. Stellt sich später heraus, dass der Arbeitnehmer auf eine solche erlaubte Frage gelogen hat, ist der Arbeitgeber in der Regel zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung und Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.
Zulässig sind in der Regel bsp. Fragen nach dem allgemeinen und beruflichen Lebenslauf nebst sämtlichen Zeugnissen, nach berufsbezogenen Erkrankungen, nach berufsbezogenen Vorstrafen, Vorlage des allgemeinen Zeugnisses, nach Lohnpfändungen, Fragen nach dem derzeitigen Familienstand und nach Kindern.
2. Unzulässige Fragen
Auf Fragen des Arbeitgebers allerdings, bei denen die Arbeitnehmerinteressen höher zu werten sind, als die des Arbeitgebers, darf der Arbeitnehmer nicht nur die Angaben verweigern, sondern sogar -insoweit folgenlos- lügen.
Unzulässig sind in der Regel Fragen nach Schwangerschaft, Heiratsabsichten, Kinderwunsch, allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Situation des Bewerbers, Religionszugehörigkeit, Gewerkschaftszugehörigkeit, Parteizugehörigkeit und allgemeine Fragen zum allgemeinen Gesundheitszustand.
(Hinweis: Auch hier gibt es allerdings Ausnahmen, wenn die Fragen ausnahmsweise berufsbezogen sind, bsp. bei sogenannten Tendenzbetrieben, d.h. Kirchen, Parteien und Gewerkschaften können selbstverständlich diesbezügliche Fragen nach der Konfession oder anderweitiger Zugehörigkeit stellen, weiterhin darf nach Berufskrankheiten und in Ausnahmefällen auch dann nach der Schwangerschaft gefragt werden, wenn diese die Ausübung des Berufes generell unmöglich machen würde).
3. Das Problem: Frage nach Schwerbehinderung erlaubt ?
Ob die Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderung nun eine zulässige oder unzulässige Frage ist, war und ist seit jeher umstritten:
Während früher die Frage mangels gegenteiliger gesetzlicher Regelung allgemein als erlaubt galt, wird nunmehr aktuell seit Einführung des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), welches ausdrücklich jegliche Benachteiligung wegen Schwerbehinderung verbietet, die Frage überwiegend als unzulässig angesehen.
Gleichwohl ist festzustellen, dass bislang diese Frage weder gesetzlich noch höchstrichterlich geklärt wurde.
II. So auch der konkrete Fall: Falsche Angaben im Personalfragebogen
Das BAG hatte den Fall zu entscheiden, in der eine Arbeitnehmerin bei Einstellung im Rahmen des Personalfragebogens die Frage nach einer Schwerbehinderung verneinte, obwohl sie tatsächlich bereits zum damaligen Zeitpunkt 50 % schwer behindert war. Erst als es im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses zu Meinungsverschiedenheiten kam, offenbarte die Arbeitnehmerin den Umstand ihrer Schwerbehinderung. Der Arbeitgeber focht daraufhin den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an und kündigte zugleich das Arbeitsverhältnis
Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Anfechtung als auch der Kündigung und erhob zudem Klage auf Schadensersatz wegen Diskriminierung (Diskriminierungsentschädigung).
Der Arbeitgeber entgegnete daraufhin, um den Vorwurf der Diskriminierung zu entgehen, dass die Arbeitnehmerin ohnehin auch bei Offenbarung der Schwerbehinderung seinerzeit eingestellt worden wäre, der Vorgang offenbare jedoch eine derartige und Unehrlichkeit der Arbeitnehmerin, dass ein weiteres Festhalten am Arbeitsvertrag dem Arbeitgeber nicht zuzumuten sei.
III. Die Entscheidung des BAG: falsche und unwahre Angaben im Vorstellungsgespräch nur dann relevant, wenn ursächlich für Vertragsschluss
Das BAG erachtete die Anfechtung und die Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam aus folgenden Gründen:
Da der Arbeitgeber selber zugegeben habe, die Frage nach der Schwerbehinderung sei praktisch seinerzeit irrelevant gewesen, kann die Lüge der Arbeitnehmerin auf diese Frage auch nicht ursächlich für den Vertragsabschluss gewesen sein, so dass eine diesbezügliche Anfechtung oder Kündigung ausscheide. Auch die allgemeine Vorstellung, die Arbeitnehmerin sei ehrlich, könne daher nicht ursächlich für den Abschluss des Arbeitsvertrages gewesen sein.
Die Klage auf Schadensersatz zu Gunsten der Arbeitnehmerin lehnte das BAG jedoch ab: die Frage nach der Schwerbehinderung alleine sei kein hinreichendes und ausreichendes Indiz für eine Benachteiligung b zw. Diskriminierungsabsicht des Arbeitgebers.
Daher könne es auch offen bleiben, ob die Frage nach der Schwerbehinderung eine unzulässige oder zulässige Frage bzw. die darauf beruhende Kündigung diskriminierend sei.
IV. Bewertung
Das Problem der Zulässigkeit von Fragen nach einer Schwerbehinderung ist leider nach wie vor offen geblieben.
Das Verfahren und das Urteil zeigen jedoch eins ganz deutlich: der Arbeitgeber, der aufgrund der Lüge des Arbeitnehmers auf die Frage nach der Schwerbehinderung den Vertrag später anfechten bzw. aufkündigen will, ist in einer ziemlichen Zwickmühle: behauptet er, die Frage sei seinerzeit für den Abschluss des Vertrages relevant gewesen, setzt er sich des Vorwurfs der Diskriminierung und der Gefahr eines erheblichen Schadensersatzanspruches aus, verneint er aber die Ursächlichkeit der Antwort für den späteren Abschluss des Arbeitsvertrages, ist nach der BAG-Entscheidung festzustellen, dass dann Frage und Antwort für das Arbeitsverhältnis irrelevant gewesen sind mit der Folge der Unwirksamkeit von Anfechtung und Kündigung.
Der Arbeitgeber kann sich daher fast "drehen und wenden, wie er will", er ist so oder so in dieser Fallgestaltung unterlegen.
Ob diese Zwickmühle und Zwangslage letztlich haltbar und sinnvoll ist, mag bezweifelt werden: Wie meistens bei Thematiken rund um das Diskriminierungsverbot werden Arbeitgeber angesichts dieser Situation dazu übergehen, derartige Themen wie die Schwerbehinderung vollkommen offiziell auszuklammern und später auf andere Art und Weise zu versuchen zu lösen, bsp. den unliebsamen Arbeitnehmer loszuwerden. Rechtsfrieden im Arbeitsverhältnis sieht anders aus.
Rechtsanwalt Mathias Henke -Dortmund-