FAMILIENRECHT
Bundesverfassungsgericht und das Sorgerecht der Väter: Sofortige Geltendmachung des Sorgerechtes möglich
Autor: Mathias Henke - Rechtsanwalt
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat unlängst (Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvR 420/09 -) die bisherigen gesetzlichen Regelungen zum Sorgerecht nicht verheirateter Väter für verfassungswidrig erklärt. Das BVerfG folgte damit den auch seitens des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) bereits aufgestellten Vorgaben nunmehr in letzter Konsequenz. Welche Rechte können betroffene Väter aber nun aktuell daraus herleiten, bis der Gesetzgeber den Vorgaben des BVerfG entspricht und eine gesetzliche Neuregelung geschaffen hat ?
I. Alte Rechtslage und Inhalt der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde betraf die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass gegen den Willen der Mutter eine Übertragung der elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder auch oder allein auf den Vater nach den bisherigen einschlägigen familienrechtlichen Vorschriften nicht möglich ist. Im Rahmen der Reform des Kindschaftsrechts im Jahre 1998 war nicht miteinander verheirateten Eltern erstmals unabhängig davon, ob sie zusammenleben, durch § 1626a BGB die Möglichkeit eröffnet worden, die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam zu tragen, wenn sie dies wollen und entsprechende Sorgeerklärungen abgeben, was schon vor der Geburt des Kindes geschehen kann (§ 1626b Abs. 2 BGB).
Erfolgten diese Sorgerechtserklärungen jedoch nicht, war grundsätzlich nur die Mutter alleinige Sorgerechtsinhaberin für das nichteheliche Kind, ohne dass der Vater die Übertragung des Sorgerechts auf sich alleinig beantragen, ja noch nicht einmal das Mit-Srgerecht erwirken konnte.
II. Entscheidung des BVerfG und praktische Auswirkung
(1) Das BVerfG hat nun - wie hinlänglich bekannt - diese Regelung für verfassungswidrig erklärt. Vätern nichtehelicher Kinder können fortan das alleinige Sorgerecht oder aber das Mit-Sorgerecht unabhängig vom Willen der Mutter vom zuständigen Familiengericht auf Antrag zugesprochen bekommen, wenn es dem Kindeswohl entspricht.
Der Gesetzgeber muss hierzu nun eine entsprechende neue Gesetzeslage schaffen. Erfahrungsgemäß wird dies dauern: Welche Rechtslage aber gilt nun in der Zwischenzeit ?
(2) Das BVerfG ist bei Beantwortung dieser Frage von seiner üblichen Rechtsprechungs-Praxis abgewichen:
Normaler Weise billigt das BVerfG dem Gesetzgeber eine bestimmte Frist zu, in dem dieser eine verfassungskonformer Regelung treffen muss, bis dahin gilt dann der alte ? wenn auch verfassungswidrige ? Zustand. Obwohl die Verfassungsrichter die geltende Gesetzesvorschrift noch nicht einmal formell für nichtig erklärt haben, sahen die Richter das Rechtsgut des Sorgerechts aber als so überragend an, dass sie für den Zeitraum bis zur gesetzlichen Neuregelung selber eine sofort gültige einstweilige Neuregelung geschaffen haben, die fortan unverzüglich gilt:
- Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung kann das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.
- Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung kann das Familiengericht dem Vater auf Antrag die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge übertragen, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.
Dies bedeutet:
Bislang sorgerechtlose Väter können sofort und unmittelbar beim zuständigen Familiengericht Anträge auf alleiniges Sorgerecht oder gemeinsames Sorgerecht stellen, ohne auf eine neuerliche Gesetzeslage zu warten. Betroffene Väter sind daher ungehindert, ab sofort ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen.
Dies bedeutet aber auch:
Das Sorgerecht wird nicht einfach übertragen, weil die Vaterschaft formell besteht; die Entscheidung der Verfassungsrichter bedeutet keine automatische Übertragung des Sorgerechts bei Beantragung. Das Sorgerecht wird nur dann eingeräumt, wenn es auch dem Kindeswohl entspricht. Dies müssen die Familiengerichte nachprüfen und dies müssen die Väter vortragen, wenn sie das Verfahren positiv gestalten wollen. Väter, die ihre Kinder bereits seit Jahren nicht mehr gesehen haben, oder aber Väter, die bereits seit Jahren keinerlei Kontakt mehr zur Kindesmutter haben oder auch Väter, bei denen aus anderen persönlichen Gründen Bedenken gegen die Inhaberschaft des Sorgerechtes bestehen ( bsp. negatives Verhalten in der Vergangenheit) werden auch von der jetzigen neuen Entscheidung des Verfassungsgerichtes keinerlei Nutzen haben respektive es sehr schwer haben, einen Sorgerechtsantrag positiv zu gestalten.
III. Fazit:
Die neue Entscheidung des BVerfG war überfällig und folgerichtig: die alte Gesetzesregelung war antiquiert und stand bereits auf Grund einschlägiger Entscheidungen des europäischen Gerichtshofes seit längerer Zeit vor dem Fall. Wieder einmal bedurfte es leider einer langwierigen Gerichtsentscheidung, um das umzusetzen, was jedem Bürger - aber offensichtlich noch nicht den zuständigen Politikern als Gesetzgeber - klar war.
Wie überragend das Rechtsgut Sorgerecht seitens der Richter angesehen wurde und wird, zeigt sich an den entsprechenden einstweiligen Anordnungen, die unmittelbar die Rechtslage neu sortieren und Väter in die Lage versetzen, unverzüglich ohne Zuwarten auf den Gesetzgeber ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen. Aber Väter werden auch im Rahmen dieses einstweiligen Rechtszustandes das Sorgerecht nur dann bekommen, wenn festgestellt wird, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Ob die Familienrichter bei Prüfung dieser Frage im Einzelfall eher davon ausgehen, dass das gemeinsame Sorgerecht im Regelfall dem Kindeswohl entspricht oder dies nur ausnahmsweise dann annehmen, wenn der Vater sehr gewichtige Gründe darlegen kann, bleibt abzuwarten. Diese Unsicherheit ist jedoch als zeitlich begrenzte hinzunehmen.
Im Ergebnis schafft die Entscheidung des BVerfG jedenfalls - mal wieder - Recht dort, wo es der Gesetzgeber nicht geschafft oder willens war, zu schaffen.
RA M. Henke