BETREUUNGSRECHT
„Recht auf Krankheit“ kann zwangsweiser Unterbringung entgegenstehen
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Karlsruhe (jur). Die länger als ein Jahr dauernde zivilrechtliche Unterbringung eines psychisch Kranken muss ein Gericht „schon ausreichend begründen“. Der Anspruch auf persönliche Freiheit gewinnt mit Fortdauer der Unterbringung an Gewicht, so dass dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die Freiheit zur Krankheit belassen werden muss, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Montag, 23. Mai 2022, veröffentlichten Beschluss klar (Az.: XII ZB 35/22).
Im Streitfall ging es um einen unter Betreuung stehenden Mann aus Würzburg, der nach einem Verkehrsunfall ein hirnorganisches Psychosyndrom erlitten hatte. Hinzu kam noch eine langjährige Alkoholabhängigkeit mit selbstständigen Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen.
Zwischen 1993 und März 2008 befand der Mann sich 30 Mal in stationärer psychiatrischer Behandlung. Danach wurde die Unterbringung mehrfach vom Betreuungsgericht genehmigt. So hatte das Amtsgericht am 8. Juli 2021 die Unterbringung in der Psychiatrie bis längstens 17. Juni 2023 genehmigt. Das Landgericht Würzburg wies die dagegen vom Betroffenen eingelegte Beschwerde ab.
Der BGH gab dem Mann nun recht und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück.
Zulässig sei eine Unterbringung und damit eine Einschränkung des Rechts auf Freiheit, wenn dies zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist. Bestehe die Gefahr, dass dieser sich wegen einer psychischen Krankheit selbst tötet oder sich erhebliche gesundheitliche Schäden zufügt, sei die Unterbringung gerechtfertigt. Dabei müsse eine solche Gefahr nicht unmittelbar bevorstehen, vielmehr reichten „objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte“ aus.
Allein Alkoholismus oder eine bloße Rückfallgefahr seien in der Regel aber kein Grund für die Genehmigung einer Unterbringung. Anderes gelte nur, wenn der Alkoholismus im ursächlichen Zusammenhang zur psychischen Erkrankung steht.
Nach dem Gesetz dürfe die Unterbringung regelmäßig auch nur für bis zu einem Jahr angeordnet werden. Solle die Unterbringung länger dauern, müsse dies ausreichend begründet werden, so der BGH. Gründe könnten die Dauer einer notwendigen Therapie oder fehlende Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung sein.
Hier habe das Landgericht die Unterbringungsdauer von bis zu zwei Jahren aber nicht ausreichend begründet. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, „dass der Anspruch auf persönliche Freiheit mit Fortdauer der Unterbringung an Gewicht gewinnt und dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die ‚Freiheit zur Krankheit‘ belassen werden muss“, so der BGH in seinem Beschluss vom 30. März 2022.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock