FAMILIENRECHT
Leihmutterschaftsverdacht darf nicht zulasten der Kinder gehen
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Karlsruhe (jur). Der Verdacht des Jugendamtes über das Bestehen einer verbotenen Leihmutterschaft kann nicht automatisch die Wegnahme der Kinder von ihren vermeintlichen Eltern begründen. Ist die Elternschaft der vermeintlichen Eltern nicht geklärt, muss bei der Wegnahme gerade kleiner Kinder auch eine damit einhergehende Traumatisierung und Kindeswohlgefährdung berücksichtigt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag, 6. Oktober 2022, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvR 1654/22). Die Karlsruher Richter gaben damit dem Antrag eines Ehepaares auf einstweilige Anordnung statt.
Im Streitfall hatten am 2. Oktober 2019 die damals 56-jährige deutsche Beschwerdeführerin und ihr aus Lettland stammender 30-jähriger Mann in der Ukraine geheiratet. Eine Woche zuvor wurden Zwillinge geboren, bei denen das Ehepaar laut ukrainischer Geburtsurkunden als Eltern aufgeführt wurde. Lettische Behörden gingen ebenfalls von einer Elternschaft aus und trugen das Paar und die Zwillinge in das lettische Personenstandsregister ein. Während die Frau mit den Kindern nach Deutschland zurückkehrte, lebt der Ehemann zwischenzeitlich in Großbritannien. Er hatte der Frau eine für drei Jahre geltende notarielle Sorgerechtsvollmacht erteilt.
Doch mit der Rückkehr der Frau und der Kinder nach Deutschland schaltete sich das Jugendamt ein. Die Behörde ging davon aus, dass die Kinder von einer Leihmutter auf die Welt gebracht wurden. Dafür spreche das hohe Alter der Beschwerdeführerin, aber auch, dass kein Mutterschutzpass und keine Krankenhausrechnungen vorgelegt wurden. Die ukrainischen und lettischen Behörden hätten wohl zu Unrecht das Paar als Eltern eingestuft.
Stammten die Kinder von einer Leihmutter, könne die Beschwerdeführerin aber nicht als Mutter anerkannt werden. Nach deutschem Recht liege eine Mutterschaft nur bei Frauen vor, die das Kind selbst geboren haben. Dies sei hier offensichtlich nicht der Fall. Auch die rechtliche Vaterschaft bestehe nicht, da das Paar erst nach der Geburt der Zwillinge geheiratet habe.
Das Jugendamt wollte daraufhin die Amtsvormundschaft über die Kinder übernehmen
Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hatte dagegen keine Einwände. Einwendungen des klagenden Ehepaares, dass das Jugendamt dann die Kinder wegnehmen und bei Pflegeeltern unterbringen könne und damit das Kindeswohl gefährdet wäre, hielt das Gericht für unbegründet.
Auch das Jugendamt bestritt noch am 2. August 2022 entsprechende Wegnahmepläne. Zwei Tage später wurden die Kinder dann doch ohne vorherige Ankündigung „in Obhut“ genommen. Einen Antrag auf Auskunft über den Verbleib der Kinder wies das Jugendamt ab. Das Paar habe keinerlei Rechte in Bezug auf die Zwillinge.
Der daraufhin beim Bundesverfassungsgericht gestellte Antrag auf einstweilige Anordnung hatte nun allerdings Erfolg. Zwar sei im Hauptsacheverfahren offen, ob die Kläger die Elternschaft für die Zwillinge beanspruchen können, so das Gericht in seinem Beschluss vom 7. September 2022.
Die Kinder seien jedoch vorschnell aus ihrer vertrauten Umgebung weggenommen worden. Denn eine Kindeswohlgefährdung habe bei den Beschwerdeführern nicht vorgelegen.
Vielmehr bestehe gerade bei kleinen, hier zwei Jahre alten Kindern die Gefahr einer Traumatisierung, wenn sie aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen und zu Pflegeeltern gebracht werden. Dem Hinweis des Ehepaares, dass die Wegnahme der Kinder durch das Jugendamt und eine mögliche Traumatisierung drohe, sei das OLG auch nicht nachgegangen, rügten die Verfassungsrichter.